Potentiale der E-Zigarette

Der Frankfurter Suchtforscher Prof. Dr. Heino Stöver gilt als einer der kenntnisreichsten Experten für das Thema Harm Reduction mit E-Zigaretten. Er veranstaltet Tagungen und Seminare und hält Vorträge zu den Chancen und Risiken, die aus wissenschaftlicher Sicht mit der E-Zigarette verbunden sind. Außerdem ist er der Herausgeber von drei Publikationen zur E-Zigarette:

  1. 2016 veröffentlichte Prof. Stöver mit “Die E-Zigarette: Geschichte – Gebrauch – Kontroversen” sein erstes Buch mit Artikeln von Befürwortern und Gegnern der E-Zigarette. 
  2. 2019 legte der Suchtforscher nach und veröffentlichte gemeinsam mit Daniela Jamin und Sascha Eisenbeil den “Ratgeber E-Zigarette: Einsteigen, Umsteigen, Aussteigen”. Eine Zusammenfassung bei uns im Blog
  3. Sein drittes und kürzlich erschienenes Werk trägt den Titel “Potentiale der E-Zigarette für Rauchentwöhnung und Public Health”. *

Diese jüngste Publikation wollen wir hier kurz vorstellen. Wir halten diese Veröffentlichung für einen äußerst wichtigen wissenschaftlichen Beitrag zur Debatte um die E-Zigarette. 

Das 258 Seiten umfassende Buch gliedert sich in vier Themenbereiche: “Grundlagen”, “Public Health”, “Internationale Erfahrungen” und “Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit”. Insgesamt kommen 28 Autoren zu Wort, darunter VertreterInnen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), Suchtforscher, Kardiologen, Epidemiologen und Verbraucher.

In seiner Einleitung ordnet Prof. Stöver die Erkrankungen und Todesfälle in den USA ein, die von der US-Gesundheitsbehörde CDC und den Medien in Zusammenhang mit der E-Zigarette gebracht wurden. 

Die Krankheits- und Todesfälle in den USA sind bedauerlich – sie werden jedoch ungerechtfertigt mit der E-Zigarette an sich in Verbindung gebracht. Es geht in der weit überwiegenden Zahl der Fälle um den Konsum von verunreinigten Schwarzmarktprodukten und nicht um die regulierte E-Zigarette.” (Seite 7)

Diese Klarstellung sei deshalb wichtig, da die “mediale Aufbereitung (Schlagzeilen wie: „Tote durch E-Zigaretten“) … auch in Deutschland für erhebliche Verunsicherungen bei den Konsument*innen und Interessent*innen an risikoärmeren Formen der Nikotinaufnahme” sorgen würden. Bereits vor der US-Krise sei der Stand der Aufklärung in Deutschland gering gewesen, denn die Mehrheit der Deutschen ginge fälschlicherweise davon aus, dass E-Zigaretten mindestens genau so schädlich sind wie Tabakzigaretten. 

Thema Grundlagen

In vier Artikeln geht es um das Basiswissen zur Thematik E-Zigarette: Konsumzahlen und -muster in Deutschland und in der EU, Bewertungen des Risikos von E-Zigaretten und Tabakerhitzern sowie eine Erklärung der einzelnen Komponenten einer elektrischen Zigarette. 

Zitate:

E-Zigaretten werden zumeist von Raucher*innen ausprobiert und nur sehr wenige Nie-Raucher*innen haben E-Zigaretten schon einmal getestet.” (ZIS, Seite 26)

Für Raucher ergeben sich aus diesen alternativen Produkten neue Möglichkeiten zur schadstoffreduzierten Nikotinaufnahme oder sogar zur Entwöhnung.” (BfR, Seite 28)

Rauchern, denen die Entwöhnung schwerfällt, bieten sich heute neue Optionen, um die Schadstoffexposition zu begrenzen.” (BfR, Seite 37)

Thema Public Health

Sieben Artikel befassen sich mit Studien und Einschätzungen zu Gesundheitsfragen: Rauchstopp und Schadensminimierung, E-Zigaretten bei COPD und Asthma, Auswirkungen auf die Atemwege und Gefäße etc. 

Zitate:

Die E-Zigarette kann im Rahmen zieloffener Tabakbehandlung – ganz entsprechend dem Wunsch der rauchenden Person – alleinige Behandlungsvariante sein und die Tabakzigarette vollständig ersetzen.” (ISS Seite 82)

Aus der Sicht der Lungenärzte muss die Option des E-Zigaretten-Einsatzes insbesondere für Patienten mit fortgeschrittener COPD-Erkrankung Teil des Behandlungsangebotes sein und klar in die Beratung und Empfehlung einbezogen werden.” (Dr. Thomas Hering, Seite 94)

Smokers who substituted EC use experienced improvements in smoking symptoms (cough, phlem, etc.) and exhibited lower levels of exhaled CO, particularly for those with complete EC substitution.” (Prof. Riccardo Polosa, Seite 116)

Die in Deutschland immer noch weit verbreitete Skepsis gegenüber E-Produkten als Schadensminimierungsmaßnahme für Raucher_innen ist also auch im Hinblick auf die Verbreitung unter Jugendlichen offenbar unbegründet.” (Dr. Bernd Werse, Anna Dichtl, Seite 151) 

Es wäre also an der Zeit, in Deutschland die Beratung und auch den Zugang zu Alternativen zu erleichtern, da das Rauchen für Gefäßpatienten ein erhebliches Risiko für die Entstehung und vor allem die Progression der generalisierten Arteriosklerose darstellt.” (Prof. Martin Storck et al., Seite 155)

Thema Internationale Erfahrungen

Im dritten Kapitel des Buchs geht der Blick nach Großbritannien und in die Schweiz. Diese Staaten haben mit teilweise breiter Unterstützung der E-Zigarette zur Schadensminimierung gute Erfolge erzielt. 

Zitate:

Wenn man erleben will, wie ein unverkrampfter und faktenbasierter Umgang mit der E-Zigarette geht, muss man nur nach Großbritannien schauen. Dort befassen sich sowohl die Politik als auch verschiedene Gesundheitsinstitutionen seit längerem sachbezogen und faktenbasiert mit der E-Zigarette und ihrem Platz im Gesundheitswesen. Deutschland kann einiges von diesem Modell lernen.” (Prof. Stöver, Seite 160)

Dieser konsequente Ansatz in der Tabakkontrollpolitik hat dazu geführt, dass seit 2011 die Raucherprävalenz im Vereinigten Königreich um ein Fünftel zurückgegangen ist. Im europäischen Vergleich hat Großbritannien die zweitwenigsten Tabakkonsumenten. Nur Schweden hat eine noch geringere Raucherquote.” (Seite 161)

Vaping has become a large-scale phenomenon relative to smoking and appears to be having significant downward pressure on smoking rates. In England, we are witnessing tobacco harm reduction in action and starting to benefit from a public health win.” (Clive Bates, Seite 174)

Schweiz: “Als vorläufiges Fazit können wir festhalten, dass E-Zigaretten für einen Teil der Klienten eine echte Erleichterung beim Rauchstopp und bei einem anderen Teil eine echte Hilfe zur Reduktion des Zigarettenkonsums darstellen.” (Reno Sami, Suchthilfe-Ost, Seite 192)

Thema Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit

Im letzten größeren Abschnitt geht es um die Debatte zur E-Zigarette, die Studienlage und die Rolle der Medien. 

Zitate:

E-Zigaretten werden weiterhin kontrovers diskutiert. Um gesundheitspolitische Strategien zur Regulierung von E-Zigaretten entwickeln und bewerten zu können, muss man die Auswirkungen von E-Zigaretten für die öffentliche Gesundheit („Public Health“) verstehen. Dafür ist epidemiologische Forschung zentral.” (Dr. Ute Mons, DKFZ, Seite 193)

Die Qualität der Forschung zu E-Zigaretten muss besser werden, um als robuste Evidenzbasis für gesundheitspolitische Entscheidung dienen zu können – mit methodisch fragwürdigen Studien setzt die Tabakkontroll-Forschung letztlich ihre eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Nur ein hoher wissenschaftliche Standard schafft eine solide Evidenzbasis für gesundheitspolitische Entscheidungen zur Förderung der öffentlichen Gesundheit.” (Mons, Seite 206)

Doch selbst unter den Skeptikern vertritt kaum jemand die Auffassung, dass sich das Dampfen einmal als genauso schädlich wie das Rauchen erweisen könnte. Und niemand in der Fachwelt glaubt ernsthaft, dass E-Zigaretten schädlicher sind als herkömmliche Zigaretten. Das ist in der Bevölkerung anders. In Deutschland geht über die Hälfte der Bevölkerung davon aus, dass E-Zigaretten mindestens so schädlich sind wie Zigaretten. ” (Dietmar Jazbinsek, Seite 209)

An sich gehört es zu den Kernaufgaben eines jeden Journalisten, PR-Verlautbarungen auf ihren Realitätsgehalt hin zu überprüfen. Wenn es jedoch um die Beurteilung von Forschungsprojekten in Wissenschaftsdisziplinen wie der Toxikologie und der Epidemiologie geht, kommen Medienvertreter schnell an die Grenzen ihrer Rechercheroutinen, zumal in den Redaktionen nur relativ wenige Naturwissenschaftler tätig sind. (Jazbinsek, Seite 224)

Eine kluge Regulierung, die den Erfordernissen des Jugend- und Verbraucherschutzes Rechnung trägt und zugleich die Raucher dazu ermutigt, komplett auf das Dampfen umzusteigen, wenn sie anders nicht von der Zigarette loskommen, könnte Millionen von Menschen den Tabaktod ersparen. Doch das „Bad news are good news“-Prinzip der Nachrichtenproduktion hat dazu geführt, dass die E-Zigarette in der Öffentlichkeit eher als Bedrohung denn als Chance wahrgenommen wird.” (Jazbinsek, Seite 229)

Da bei üblichem Gebrauch von E-Zigaretten keine Verbrennung stattfindet und kein Rauch, sondern Nebel („Dampf “) inhaliert wird, entfällt die gesundheitliche Beeinträchtigung durch Verbrennungsprodukte. Die gesundheitlichen Vorteile von E-Zigaretten im Vergleich zu Tabakzigaretten sind durch zahlreiche Fachpublikationen belegt.” (Prof. Bernd Mayer, Seite 235)

Als Wissenschaftler sind wir ethisch verpflichtet, Rauchern den Umstieg auf E-Zigaretten vorbehaltlos zu empfehlen.” (Mayer, Seite 246)

Positionspapier

Den Abschluss des Buchs bildet ein Positionspapier von fünf Frankfurter Suchtforschern. 

Zitat:

Mit vielen gängigen Therapeutika – Nikotinersatzprodukte und Verhaltenstherapie – lässt sich die Rauch-Abstinenz in der Gesellschaft kaum weiter steigern, wie langjährige Erfahrung mit diesen Mitteln zeigt. Dem Ansatz der Harm Reduction folgend ist es deshalb besser, die Aufnahme gesundheitsschädlicher Stoffe zu reduzieren. Die derzeit beste Option dafür ist die E-Zigarette, die gemäß zahlreicher Studien 95 Prozent weniger Gesundheitsrisiken birgt als klassische Zigaretten.” (Prof. Stöver et al., Seite 254)

 

* „Potentiale der E-Zigarette für Rauchentwöhnung und Public Health“, Heino Stöver (Hrsg.), Fachhochschulverlag 2019, 22 Euro

2020-03-12T18:27:08+01:0012.03.2020|