„Besteuerung am Risiko ausrichten“

8. Alternativer Drogen- und Suchtbericht erschienen

Heute wurde der 8. Alternative Drogen- und Suchtbericht (ADSB) vorgestellt. Herausgegeben wird der jährliche Bericht vom akzept e.V. Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitk und der Deutschen AIDS-Hilfe e.V.

In einem Kapitel des ADSB widmen sich die Frankfurter Suchtforscher Prof. Heino Stöver und Dr. Bernd Werse dem Thema Tabaksteuer.

Hintergrund: Am 10. Juni 2021 hat der Bundestag mit der Mehrheit der Regierungskoalition das neue Tabaksteuermodernisierungsgesetz (TabStMoG)  beschlossen. Erstmals wird eine Steuer auf E-Zigarettenliquids festgelegt, die ab dem 1. Juli 2022 gelten soll. Innerhalb von vier Jahren bis 2026 soll E-Zigarettenliquid in vier Stufen deutlich teurer werden als bisher. Um mehr als 60 Prozent. Das wäre die höchste Steuer im europäischen Vergleich. Die Konsequenz: Rauchen wird dann günstiger sein als die schadensminimierende Alternative E-Zigarette. Das BfTG plant eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz.

Der Gesetzesentwurf wird von Oppositionspolitikern, Wissenschaftlern, Suchtforschern und Branchenvertretern deutlich kritisiert. So auch durch die Autoren in dem vorliegenden Bericht.

Hier sind einige Auszüge aus dem ADSB, die wir unkommentiert lassen, da sie für sich sprechen. Zitiert wird ab Seite 76 des Berichts. [1]

Harm Reduction und Rauchstopp-Potenzial

  • „Alternative Nikotinprodukte sind eine gute Option für Raucher*innen, die nicht aufhören können oder wollen. Das drastisch geringere Schadenspotenzial ist wissenschaftlich ebenso bestätigt wie die überproportionale Wirksamkeit des Umstiegs auf alternative Nikotinprodukte zum Rauchstopp.“
  • „7.9.2020 – Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages. Im Rahmen dieser Anhörung gaben verschiedene Expert*innen (u.a. einer der Autoren) ihre Einschätzung zum Potenzial von E-Zigaretten für den Rauchausstieg und die öffentliche Gesundheit ab. Dabei sprach man sich mehrheitlich dafür aus, die Höhe der Besteuerung am Risiko auszurichten.“

Lenkungswirkung in die falsche Richtung

  • „Man kann nur vermuten, was das Finanzministerium mit der Einführung des neuen Steuergegenstands bzw. der Extra-Steuer bezweckt: die Sicherung der Einnahmen des Bundeshaushalts durch die Aufnahme von Zigarettensubstituten in das Besteuerungsregime.“
  • „Es ist jedoch ein Irrglauben, dass die Lenkungswirkung ausschließlich eine Lenkung hin zum Rauch- bzw. Nikotinstopp bewirkt – anstatt davon weg. Es ist ebenfalls hinlänglich belegt, dass höhere Steuern die Verbraucher*innen zu günstigeren auf dem Markt erhältlichen Produkten oder zu günstigeren Produkten aus dem Grenz- und Schwarzhandel bzw. dem Onlinehandel lenken.“
  • „Ferner liegen ebenfalls offizielle Erkenntnisse darüber vor, dass der Preisunterschied zwischen Zigaretten und den derzeit nur mit der Mehrwertsteuer belegten E-Zigaretten einen signifikanten Grund für Raucher*innen darstellt, den Umstieg auf E-Zigaretten zu vollziehen“

Barriere für Raucher*innen

  • „Generell kann der Zusammenhang zwischen (aufgrund von Steuern) stark steigenden Preisen für E-Zigaretten und einer Rückkehr zu Verbrennungszigaretten bzw. dem Nicht-Umstieg von Raucher*innen als gesichert gelten.“
  • „Statt einer Einstiegsbarriere für Jugendliche in den Nikotinkonsum stellt die geplante Besteuerung von E-Zigaretten also vielmehr eine Einstiegsbarriere für umstiegswillige Raucher*innen dar.“
  • „Insbesondere Raucher*innen mit niedrigem Einkommen – und in dieser Gruppe ist das Rauchen überproportional verbreitet – werden es nach den Steuererhöhungen deutlich schwerer haben, sich für E-Zigaretten zu entscheiden, dabei bräuchten diese sie am nötigsten.“
  • „Aus Public Health Perspektive ist dies nur als Katastrophe zu bezeichnen.“

Auswirkungen für den Handel

  • „Diese Ausweichreaktionen der Konsument*innen, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl Kund*innen des Fachhandels mit E-Zigaretten sind, würden für den Handel katastrophale Auswirkungen haben.“
  • „Daran lässt sicher ermessen, in welch schwierige Lage der – bereits durch die pandemiebedingten Schließungen und die skandalisierende Berichterstattung über Todesfälle in den USA durch E-Zigaretten (die sogenannte Evali-Krise, sich als Todesfälle aufgrund gepanschter THC-haltiger Liquids herausstellte; siehe Werse et al., 2020) – arg gebeutelte deutsche Fachhandel durch die geplante Steuer kommen wird.“

Fazit der Autoren

„Wir appellieren an die Politik:

  • Berücksichtigen Sie das unterschiedliche Risikopotenzial bei der Besteuerung und der weiteren Regulierung alternativer Nikotinprodukte!
  • Schweden, Kanada, Neuseeland, Großbritannien machen es vor. Wie lange will Deutschland hinten anstehen?“

 

Anmerkungen:

[1] Der Text des Berichts bezieht sich auf einen früheren Entwurf des TabStMoG. Ursprünglich sollte die Nikotinmenge in Liquids besteuert werden. Im finalen Entwurf wird das Liquid-Volumen als Grundlage der Besteuerung definiert. Die Argumente der Autoren gelten für beide Regelungen.

2021-07-16T09:33:22+02:0015.07.2021|