Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2025: Deutschland braucht endlich eine moderne Tabak- und Nikotinpolitik

Der neue Alternative Drogen- und Suchtbericht 2025 zeigt erneut: Im internationalen Vergleich bleibt Deutschland bei der Tabakkontrollpolitik weit zurück. Während andere Länder längst evidenzbasierte Strategien verfolgen, verharrt die deutsche Politik in überholten Leitbildern – mit dramatischen Folgen für die öffentliche Gesundheit.
Der renommierte Suchtforscher Prof. Heino Stöver, langjähriger Verfechter einer modernen Tabakpolitik, formuliert im Bericht gemeinsam mit weiteren Autorinnen und Autoren klare Forderungen: Deutschland muss endlich Harm Reduction als festen Bestandteil seiner Tabak- und Nikotinpolitik verankern.
Hintergrund: Warum der Bericht so wichtig ist
Der Alternative Drogen- und Suchtbericht existiert seit 2014 als kritisches Gegengewicht zum offiziellen Regierungsbericht. Herausgegeben von akzept e.V., JES und der Deutschen Aidshilfe, bündelt er wissenschaftliche Analysen, Praxiserfahrungen und politische Empfehlungen.
Im Bereich Tabak und Nikotin ist die Botschaft eindeutig: Deutschland hat keine funktionierende Tabakkontrollstrategie – und die bislang dominierende Abstinenzorientierung erreicht große Teile der rauchenden Bevölkerung nicht mehr.
Zentrale Erkenntnisse des Berichts
1. Harm Reduction ist international Standard – in Deutschland aber unterentwickelt
Ab Seite 32 wird deutlich: Viele Länder empfehlen Menschen mit schwerer Tabakabhängigkeit den Umstieg auf weniger schädliche Produkte, insbesondere E-Zigaretten. Dies entspricht den Grundprinzipien moderner Drogenpolitik – wird aber beim Tabak in Deutschland kaum angewendet.
„Obwohl das Konzept der Schadensminimierung eine Säule der deutschen Drogen- und Suchtpolitik darstellt, spielt sie beim Thema Rauchen kaum eine Rolle.“
Während Großbritannien oder Neuseeland gezielt Programme fördern, die Raucher mit sicheren Alternativen unterstützen, dominiert in Deutschland weiterhin eine reine Abstinenzlogik.
2. Harm Reduction muss endlich in die Tabakkontrollpolitik integriert werden
Der Bericht formuliert auf Seite 33 eine klare Forderung:
„Es braucht eine Integration der Säule Schadensminderung in die bestehende Tabakkontrollpolitik. Das bedeutet, Raucher:innen, die nicht aufhören wollen oder können, schadensminimierende Optionen anzubieten.“
Diese Perspektive entspricht dem, was wir aus der Suchtforschung wissen:
Viele Menschen schaffen den vollständigen Tabakstopp nicht sofort – aber sie können durch den Umstieg auf risikoreduzierte Produkte ihr Gesundheitsrisiko massiv senken.
3. Steuerpolitik muss risikoorientiert werden
Ein besonders wichtiger Punkt:
„Steuern sollten risikoorientiert erhoben werden, und Produkte mit geringerem Risikopotential sollten weniger besteuert werden.“
Deutschland macht das Gegenteil:
Mit der Liquidsteuer wurden E-Zigaretten teils stärker belastet als Tabakprodukte. Das ist gesundheitspolitisch kontraproduktiv und führt nachweislich dazu, dass Raucher beim Tabak bleiben oder zum Schwarzmarkt abwandern.
4. Tobacco Harm Reduction (THR) muss strukturell verankert werden
Ab Seite 36 erläutert der Bericht, was THR in der Praxis bedeutet:
„Die THR orientiert sich am Paradigma der Schadensminimierung und will Raucher:innen, die aktuell nicht in der Lage oder motiviert sind das Rauchen einzustellen eine weniger gesundheitsschädliche Alternative zum Tabakgebrauch anbieten.“
Besonders wichtig:
Großbritannien integriert E-Zigaretten seit Jahren systematisch in die nationale Strategie zur Überwindung der Tabakabhängigkeit. Deutschland hingegen verfügt bislang über keine vergleichbaren Programme.
5. THR muss auch in soziale Arbeit und Suchthilfe integriert werden
Auf Seite 38 heißt es:
„Ein bedarfsorientiertes Angebot für tabakgebrauchende Menschen mit multiplem Substanzgebrauch und in besonderen sozialen Lebenslagen muss also Angebote zur THR, zur Konsumreduktion und zur Unterstützung der Abstinenz verbinden und in Angebote der Sozialen Arbeit und Suchthilfe integriert sein.“
Gerade in Gruppen, in denen Rauchen extrem verbreitet ist (z. B. Menschen in Substitution), fehlten passende Angebote fast vollständig.
Was bedeutet das für die Politik?
Der Bericht macht klar: Ohne eine grundlegende Kurskorrektur wird Deutschland sein Ziel einer rauchfreien Zukunft nicht erreichen. Notwendig sind insbesondere:
- Offizielle Anerkennung von Harm Reduction – Deutschland braucht eine Tabakpolitik, die wissenschaftlich belegt funktioniert – nicht eine, die an Ideologien festhält.
- Risikobasierte Besteuerung – Höhere Steuern auf besonders schädliche Verbrennungsprodukte, niedrigere Steuern auf deutlich weniger schädliche Alternativen.
- Aufbau nationaler THR-Programme – Förderung des Wechsels von Rauchern auf risikoreduzierte Produkte. Klare Leitlinien für Ärzte und Suchthilfeeinrichtungen.
- Integration in die Sucht- und Sozialarbeit – THR darf kein Nischenkonzept bleiben. Unterstützung muss dort ankommen, wo die Rauchprävalenz am höchsten ist.
Einschätzung des BfTG
Philip Drögemüller, Geschäftsführer des BfTG: „Der Alternative Drogen- und Suchtbericht 2025 zeigt klar: Deutschland braucht endlich den Mut, neue Wege im Umgang mit Tabakabhängigkeit zu gehen. Wenn wir die massiven gesundheitlichen Schäden des Rauchens wirksam reduzieren wollen, müssen Harm-Reduction-Ansätze zu einer zentralen Säule der Tabak- und Nikotinpolitik werden – wissenschaftlich fundiert, sozial ausgewogen und gesundheitspolitisch sinnvoll ausgestaltet.“